Wenn Laufen zur Sucht wird: Wer mit Genuss sein Lauftraining absolviert, kann sich kaum vorstellen, dass Laufen zur Sucht werden kann. Aktivität fördert deine körperliche und geistige Gesundheit – solange du das richtige Mass nicht überschreitest und das Gefühl für deinen Körper nicht verlierst.
Immer höher hinaus – das ist das verbreitete Ziel
Freizeitsportler wollen immer mehr und immer höher hinaus. Nach dem Marathon muss es gleich ein weiterer sein, dann ein Ultralauf und so dreht sich die Spirale weiter. Der Kick muss her. Das Belohnungssystem wird ausgereizt. Irgendwann ist der Ausdauersport zum zentralen Lebensinhalt geworden. Man schätzt, dass mehr als 4% der Ausdauersportler „suchtgefährdet“ sind und das Training „brauchen“. Junge Sportlerinnen und Sportler sind eher gefährdet.
Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, dass dein Sportverhalten eine „Sucht“ sein könnte? Bist du vielleicht gefährdet? In diesem Artikel möchte ich präventiv wirken und aufzeigen, wie du Sport ausüben kannst, ohne in die Suchtspirale zu geraten und wie du allenfalls Laufsucht gefährdeten Kolleginnen und Kollegen helfen kannst.
Lauftraining als Sucht
Nicht nur Drogen wie Alkohol können ein Suchtverhalten auslösen. Auch Sport kann zu einer Abhängigkeit führen, die letztendlich auf die Gesundheit schlägt: Du trainierst immer mehr und immer intensiver, um Ziele wie „schlanker Körper“, „neue Bestzeiten“, „Körperwicht reduzieren“ zu erreichen. Irgendwann hat der Sport den grössten Stellenwert in deinem Alltag erreicht. Er kommt lange vor Beruf und Familie. Die sozialen Kontakte werden total vernachlässigt, der Raubbau am Körper hat Folgen.
Sportsucht ist eine Verhaltenssucht. Man unterscheidet zwischen einer „primären“ und „sekundären“ Sportsucht. Während es bei der „primären“ Sportsucht um das ständige Trainieren geht, ist die „sekundäre“ Sportsucht oft mit Essstörungen kombiniert und das Sporttreiben wird zum Vernichten der Kalorien benötigt.
Die Sportsucht geht so weit, dass die betroffenen Personen sogar trainieren, wenn sie Schmerzen haben. Unter Umständen werden einfach Schmerzmittel eingeworfen, damit ein weiteres Training überhaupt möglich ist. » Mit Schmerzmittel trainieren
Welches sind Symptome der Sportsucht?
Sportlerinnen und Sportler, die in der „Sportsucht“ gefangen sind, merken selber oft nicht mehr, dass sie sich „im Kreis“ drehen. Ihnen geht es gut, solange sie die täglichen Trainings absolvieren können. Fällt aus irgendeinem Grund eine Einheit ins Wasser, fallen sie in ein Loch. Sie werden unausstehlich und aggressiv. Folgende Symptome können auf eine Sportsucht hinweisen:
- gereizt und unausgeglichen sein
- Entzugserscheinungen, wenn ein Training nicht möglich ist
- Immunsystem ist geschwächt, ständig von Infekten geplagt
- Schlafstörungen, Lustlosigkeit
- Gedanken drehen sich ständig um den Sport
- Kopfschmerzen, Magenschmerzen
- Leistung nimmt ab
- fühlen sich mental ausgebrannt
- soziale Kontakte werden eingeschränkt, aufgegeben
- für andere Tätigkeiten zu erschöpft
- häufige Verletzungen und Überlastungserscheinungen, evtl. sogar Ermüdungsbruch
- Schmerzen werden ignoriert, bzw. mit Schmerzmitteln trainiert
- Sucht wird selbst geleugnet
- Gefühl für die eigenen Grenzen und das richtige Mass an Training geht verloren
- gestörtes Essverhalten
- Depression
- totaler Zusammenbruch
Ursachen – wie kommt es zur Laufsucht?
Sport treiben ist in. Der Mensch geht ins Fitnesscenter, Schwimmen, Radfahren, Joggen. In der Freizeit will der Mensch immer mehr Leistung erbringen. Ständig sucht man nach den ultimative „Kicks“. Das Belohnungssystem im Körper wird pausenlos auf Trab gehalten. Irgendwann braucht es die Belohnung täglich – sonst geht nichts mehr.
Beim Lauftraining werden Endorphine ausgeschüttet. Das gibt den Flow zum Laufen. Alltagsgedanken und Probleme werden beim Lauftraining „ausgeschaltet“, was – wenn das System im Gleichgewicht ist – wünschenswert ist und die wohltuende Entspannung oder Abwechslung bringt. Sind die Alltagssorgen grösser Natur (Familie, Beruf, fehlendes Selbstvertrauen…), kann das tägliche Training missbraucht werden, vor der Auseinandersetzung mit den Problemen zu fliehen.
Wird das Training regelmässig und immer öfter genutzt, um den Problemen entgehen zu können, ist der Weg zur Laufsucht nicht mehr weit. Abhängigkeit vom Training entsteht. Fällt das Training einmal aus, kommen die „verdrängten Probleme“ hervor und stürzen die betroffene Person in ein Tief. Irgendwann läuft man auch mit Schmerzen (und mit Schmerzmitteln) – weil es immer noch besser ist, als zuhause Trübsal zu blasen. Die Aktivitäten werden bis zur Erschöpfung betrieben. Es entsteht ein innerer Zwang.
Eine andere Ursache ist fehlendes Selbstwertgefühl. Die betroffene Person versucht, mit sportlichen Aktivitäten das Selbstwertgefühl aufzupolieren. Auch hier wird die Leistungsfähigkeit ständig gesteigert, bis das System zusammenbricht oder Verletzungen das Vorgehen stoppen. Das Gefühl für die eigenen Belastungsgrenzen ist verloren gegangen.
Es kann auch sein, dass traumatische Erlebnisse oder andere Problem mit dem Ausüben von Sport verdrängt werden.
Die Betroffenen merken meist nicht, in welcher immer enger werdenden Spirale sie sich befinden. Das Umfeld – Familie, Freunde und Arbeitskolleginnen und –Kollegen – spürt es meistens schneller. Sie haben den Vorteil der „Aussensicht“ und können die Betroffenen auf das Problem ansprechen, ihnen im besten Fall helfen oder mindestens Unterstützung anbieten.
Wege aus der Sucht finden
- Betroffene Läuferinnen und Läufer brauchen unbedingt Hilfe von aussen. Um aus der Spirale wieder hinauszufinden, ist eine professionelle Hilfe durch einen Psychologen oder einer Psychologin wichtig.
- Die Betroffenen müssen lernen, auf anderen Wegen Anerkennung zu finden und die „frei gewordene“ Zeit mit sinnvollen Aktivitäten zu füllen, wobei auch die Musse einen höheren Stellenwert bekommt.
- Die körperliche Aktivität wird natürlich nicht ganz zurückgefahren. Vielmehr wird darauf geachtet, dass nach einem strikt vorgegebenen Plan gelaufen wird, der Ruhetage miteinschliesst.
- Eine Überwachung der Trainingshäufigkeit hilft hier am Anfang, den Faden wieder zu finden. So kann sich das Hochgefühl beim Laufen wieder zurückmelden und zu einer grösseren, persönlichen Zufriedenheit führen.
- Das Selbstvertrauen muss gestärkt, aber nicht nur über die Leistung im Laufsport definiert werden.
- Es wird darauf geachtet, dass sportliche Aktivitäten mit sozialen Kontakten verknüpft werden: Dass du zum Beispiel mit Kollegen oder Kolleginnen auf eine Rad- oder Laufrunde gehst und ihr gemeinsam Genusspausen zum Schwatzen einlegt.
Gesunder Sport – ungesunder Sport. Wo ist die Grenze?
Die Grenze zwischen gesundem Sport und Sportsucht ist sehr schwer auszuloten. Das Wissen darum, dass es eine Sportsucht gibt, wirkt bereits für sich präventiv.
Wenn du vier- bis fünfmal die Woche trainierst, weil du einen Marathon finishen willst und in den Wochen nach dem Wettkampf dein Training problemlos wieder zurückschrauben – bzw. weglassen – kannst, musst du keine Angst um dich haben.
Es ist wichtig, dass der Sport, den du ausübst, mit deinen anderen Aktivitäten in Beruf, Schule und Familie in einem Gleichgewicht bleibt. Als eine gute Richtlinie gilt: Schränkt dein Training dein Leben ständig ein oder nicht? Sobald du täglich eine Stunde trainierst, lohnt es sich, dass du in dich hineinhörst und für dich überprüfst, ob sich Symptome der Sportsucht anbahnen. Oder du findest für dich eine Vertrauensperson, welche dich „überwacht“ und allenfalls anspricht, wenn es zu viel sein könnte.
Triathleten gehen das grösste Risiko ein, sportsüchtig zu werden, da die unterschiedlichen drei Sportarten mehr Trainingszeit zulassen (unterschiedliche Muskelbelastungen trainieren).
» Mit einem Trainingsplan trainieren
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